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Pressemitteilungen

Ukrainische Journalist*innen in Norddeutschland

Berichte über den Krieg

28.12.2022

Oft gibt es keinen Strom, Bomben fallen, und Auftraggeber können für Berichte kaum noch bezahlen: So sieht der Alltag für Journalist*innen in der Ukraine aus. Der russische Angriffskrieg zwingt viele dazu, ihr Land zu verlassen. Die NORDSPITZE stellt fünf Kolleg*innen vor, die sich in Norddeutschland aufhalten.

Atmenpause mit Arbeitsstipendium in Kiel

Als „Kriegs-Hamsterrad“ beschreibt Krystyna Zeleniuk das Gefühl, in dem sie und ihre Landsleute leben: Einfach immer weitermachen, obwohl es keinen Ausweg zu geben scheint. Die 33-Jährige arbeitet seit elf Jahren als Journalistin, seit zwei Jahren als politische und internationale Korrespondentin für den größten Fernsehsender in der Ukraine „1+1“ und für die Website TSN.ua. Seit Beginn des „umfassenden Krieges“ (gemeint ist der Krieg seit dem 24. Februar 2022, nachdem Russland bereits 2014 die Ukraine im Osten angegriffen hat, Anm. d. Red.) trifft sie ihre Gesprächspartner*innen nur noch online – wenn es Strom gibt – oder direkt im Bunker.

Krystyna Zeleniuk kommt aus Kiew, bis Ende November hielt sie sich auf Einladung der Stiftung des Kieler Presse-Klubs für vier Wochen in Schleswig-Holstein auf. Die Stiftung hatte anstelle des gemeinsam mit dem DJV Nord vergebenen Journalistenpreises 2022 zwei Arbeitsstipendien an ukrainische Kolleginnen vergeben. Im NDR-Landesfunkhaus in Kiel konnte Krystyna Zeleniuk sowohl an eigenen Projekten arbeiten als auch im Team mit deutschen Kolleg*innen – unter anderem über ukrainische Flüchtlinge in Heide. „Die Begegnung mit einer jungen Mutter aus der Region Cherson brachte alle im Team zum Weinen. Sie ist im März, als die Stadt besetzt war, mit ihrer kleinen Tochter nach Deutschland geflohen. Ihr Mann, der als Soldat bei der ukrainischen Armee kämpft, hatte sie im Bombenschutzkeller angerufen und gewarnt, dass die Russen dort gezielt nach Familien ukrainischer Soldaten suchen. Sie musste sofort los“, berichtet Krystyna Zeleniuk.

Die Soldaten, die ihr Heimatland verteidigen, nennt sie „wahre Helden“ – genauso wie die Journalist*innen, die unter Lebensgefahr von der Front berichten. Im Informationskrieg mit Russland liege die Ukraine gerade vorne, sagt Krystyna Zeleniuk. „Das hat sogar der Kreml zugegeben!“ Inzwischen ist sie nach Kiew zurückgekehrt – mit mobilen Energiespeichern und Generatoren im Gepäck, um auch bei Stromausfall arbeiten zu können. Ein Porträt der Journalistin, gesendet am 19. November im NDR Schleswig-Holstein Magazin, ist in der ARD-Mediathek abrufbar.

Mariia Tsiptsiura, weitere Stipendiatin des Kieler Presse-Klubs in Schleswig-Holstein, berichtet ebenfalls von Blackouts und ständiger Alarmbereitschaft – und von dem niederschmetternden Gefühl, dass diese Situation noch lange andauern wird. Wie ihre Kollegin ist sie 33 Jahre alt und seit vielen Jahren Journalistin, unter anderem war sie stellvertretende Chefredakteurin von Segodnya, der größten Tageszeitung der Ukraine. Seit Frühjahr 2022 lebt sie überwiegend in Polen und berichtet freiberuflich für das große polnische Online-Medium Onet über den Ukraine-Krieg. „Wir als ukrainische Journalisten müssen die ganze Welt auf die russischen Verbrechen in unserem Land hinweisen“, beschreibt Mariia Tsiptsiura ihre Mission. Gefühlt arbeite sie und alle anderen seit Kriegsbeginn rund um die Uhr, sieben Tage die Woche: „Der Krieg nimmt auch keinen freien Tag.“ Doch zahlreiche Journalist*innen haben ihre Jobs verloren oder verdienen oft nur noch die Hälfte. Ein Grund: Weil im Krieg niemand Werbung braucht, brachen den Medienunternehmen die Einnahmen weg. Manche arbeiteten jetzt unterstützt durch Spenden oder Stipendien, so Mariia Tsiptsiura. Ihren Aufenthalt in Schleswig-Holstein hat sie unter anderem genutzt, um ein Interview mit einem ukrainischen Ökologen über die Umweltfolgen des Krieges vorzubereiten. Bei der Landeszeitung in Rendsburg, die zum Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag gehört, bekam sie Einblicke in die Arbeit einer norddeutschen Lokalredaktion und unterstützte Recherchen mit Ukraine-Bezug. „Solche Stipendien sind sehr wichtig für uns. Sie zeigen uns, dass wir nicht allein sind und unsere Arbeit für die Welt wichtig ist.“ Und natürlich sei jede Gelegenheit willkommen, in einer funktionierenden Umgebung arbeiten zu können. Wann sie in die Ukraine zurückkehrt? Fraglich. „Heute bin ich hier, mit der Möglichkeit zu arbeiten. Morgen werde ich weitersehen und neu entscheiden".

(Sabine Spatzek)

Alina Kvasha ist das erste ukrainische Mitglied im DJV Bremen

„Wir sind wie Bäume, die entwurzelt wurden und 2000 Kilometer weiter wieder eingepflanzt worden sind.“ So skizziert Alina Kvasha die aktuelle Lage, in der sie sich mit ihrer Mutter und ihren beiden kleinen Söhnen befindet. Die ukrainische TV-Redakteurin musste ihren Mann und ihren erwachsenen Sohn in ihrer Heimat zurücklassen und ist nach Deutschland geflüchtet.

In der Ukraine arbeitete die 42-Jährige bereits seit 2003 beim regionalen Staatsfernsehen Ltawa in Poltawa. Die studierte Biologin ist durch Zufall im Journalismus gelandet, auch wenn schon große Teile ihrer Familie in diesem Feld tätig waren. Es wurde jemand für ein populärwissenschaftliches Programm gesucht, „so wurde ich Journalistin und habe es nicht bereut. Denn wenn du erst einmal damit angefangen hast, kannst du nicht mehr damit aufhören.“ Das einst blühende Programm in den einzelnen Regionen der Ukraine habe sich aber bereits seit 2017 deutlich verändert, erzählt Alina Kvasha. Das einstige Staatsfernsehen wurde gründlich reformiert. Das bedeutete zwar weniger Bürokratie, habe aber auch einen negativen Effekt gehabt: „Es gab seitdem keine nationalen Fernsehsender mehr, die Themen von nationaler Wichtigkeit oder aber sozio-kulturelle und historische Fragen behandelten.“ Vor der Reform arbeiteten für Alina Kvashas Sender 300 Menschen, danach nur noch 60. „Mich würde es nicht überraschen, wenn nach dem Krieg herauskommt, dass Moskau eine Rolle beim Kollaps der pro-ukrainischen Medien gespielt hat.“

Dafür, dass sie und ihre Familie gut in Deutschland aufgenommen wurden, ist sie dankbar. „Ich bin einfach überwältigt angesichts der Hilfe“, erzählt sie. Um das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu stärken, hat der DJV Bremen Alina Kvasha als Mitglied aufgenommen, ihre Beiträge übernimmt der Bildungs- und Sozialfonds Bremer Journalisten. Verglichen mit den Herausforderungen, denen sich die Menschen in der Ukraine stellen müssten, seien ihre Probleme hier gering, sagt Alina Kvasha. Spannend findet sie es, dass in Deutschland viele Themen per E-Mail und Post abgewickelt würden. „In der Ukraine bekomme ich gar keine Post mehr. Alles wird persönlich oder mit Hilfe einer speziellen App auf meinem Smartphone erledigt.“ Dafür habe Deutschland eine großartige Infrastruktur auf dem Land, ganz anders als in der Ukraine.

Bald endet Alina Kvashas Elternzeit. Eigentlich müsste sie dann ihre Arbeit in Poltawa wieder aufnehmen. Es bleiben ein großes „Aber“ und ganz viel Unsicherheit. „Im Moment gibt es in der Ukraine nur Nachrichten und nur noch einen Sender, der im ganzen Land empfangen werden kann.“ Überhaupt befinde sich der Journalismus in der Ukraine in einer großen Krise: „Viele Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, haben keine Arbeit, andere sind im Krieg, wieder andere gestorben. Viele haben keine Perspektive, nichts kann mehr geplant werden. Und niemand weiß, was morgen » passieren wird.“

Dennoch ist sie sich sicher: „Die Ukraine wird den Krieg gewinnen.“

(Regine Suling-Williges)

Geschichten aus der Ukraine finden ihren Weg nach Friesland

Natalia Vershko hätte nicht gedacht, dass sie ihren Beruf als Journalistin auch in Deutschland ausüben könnte. Die Sprachbarriere erschien ihr zu hoch – und doch hat es geklappt. Die 33-Jährige kommt aus Winnyzia, das 270 Kilometer südlich von Kiew liegt. Seit März lebt sie im friesischen Wangerland. Cornelia Lüers, Redaktionsleiterin beim Jeverschen Wochenblatt, erfuhr von der jungen Frau und bot ihr zunächst eine Hospitanz in der Redaktion an. Mittlerweile wurde Vershko als Redakteurin in Teilzeit fest angestellt. „Ich habe den Job nicht gefunden, der Job hat mich gefunden“, sagt sie.

Vershko hat Journalismus studiert und in ihrer Heimat bereits mehr als zehn Jahre lang über regionale Politik und über medizinische Themen berichtet. Sie ist überzeugt, dass Journalist*innen im Krieg eine wichtige Rolle spielen: „Sie informieren über die Folgen der russischen Aggression. Dank ihrer Arbeit wächst die Zahl der Menschen, die das wahre Wesen des Krieges verstehen, jeden Tag.“ 2014 habe sich die Berichterstattung in Deutschland und in der Ukraine über den Konflikt noch stark unterschieden.
„Das ist nun anders.“ Was ihr in deutschen Medien fehlt, sind persönliche Geschichten von Menschen, die die Besatzung, Gefangenschaft und Folter überlebt haben, oder auch Berichte über die gegenseitige Hilfe der Menschen vor Ort. „Diese Informationslücke versuche ich zu schließen, indem ich im Jeverschen Wochenblatt Geschichten von Ukrainern erzähle, die vor dem Krieg geflohen sind“, sagt Vershko.

Ukrainische Flüchtlinge sieht sie aufgrund fehlender Deutschkenntnisse „in einem gewissen Informationsvakuum“. Einerseits würden sie ständig Nachrichten über die Ukraine lesen, andererseits hätten sie keine Ahnung, was vor ihrer Nase in Deutschland passiert. „Ich schreibe gerade viele Artikel über persönliche Erlebnisse von Ukrainern und bin überzeugt, dass diese gerne von Flüchtlingen gelesen würden, aber natürlich auf Ukrainisch, weil sie Deutsch noch nicht beherrschen.“ Daher denkt sie über ein deutsch-ukrainisches Projekt nach, das nicht nur deutsche, sondern auch ukrainische Leser*innen über die Region und Veranstaltungen informiert. „Es wäre großartig, die Unterstützung anderer dafür zu gewinnen.“

Vershko hat einen Einjahresvertrag unter- schrieben, der im Juni ausläuft. So lange will sie in Deutschland bleiben, auch wenn ihre Familie in der Ukraine lebt. „Ich bin hier, weil ich Angst habe, dass die Frontlinie vielleicht noch meine Stadt erreicht, und ich dann meine Eltern nach Deutschland holen kann. Außerdem können meine Verwandten jeden Moment obdachlos werden und dann kann ich ihnen helfen.“ Ihr Partner arbeitet als Kameramann für die ukrainischen Streitkräfte. Er kann die Ukraine erst nach Kriegsende verlassen. 

(Christiane Eickmann)

Stiftungsgast Stanislav Aseyev spürt russische Kriegsverbrecher auf

Der aus Donezk stammende Journalist Stanislav Aseyev ist erst einmal in Sicherheit. Er kam Ende November als Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte an die Elbe, von wo aus er weiter gegen russische Kriegsverbrecher kämpfen wird. „Mein Hauptprojekt ist derzeit der Justice Initiative Fund“, sagt der 32-Jährige. Unter dem Pseudonym Stanislav Vasin veröffentlichte er für nationale und internationale Medien aus der ostukrainischen Region Donezk, bevor er 2017 von russischen Separatisten verschleppt und wegen „Extremismus und Spionage“ zu 15 Jahren Haft verurteilt wurde – unter anderem, weil er in seinen Reportagen aus dem Kriegsgebiet die Bezeichnung „Donezker Volksrepublik“ in Anführungszeichen gesetzt hatte. Den Großteil der Haft verbrachte er im berüchtigten Donezker Foltergefängnis „Isolation“, das unter Moskauer Kontrolle steht. Um in der Hölle routinemäßig brutaler Folter überleben zu können, schreibt Aseyev, wann immer er kann: Auf mikroskopisch kleinen Zetteln dokumentiert er seine Erfahrungen. Besonders gravierende Erlebnisse lernt der Journalist und Schriftsteller auswendig. Er will überleben, um berichten zu können. Im November 2021 erscheint die deutsche Fassung seines Buches „Heller Weg – Geschichte eines Konzentrationslagers im Donbass 2017-2019“, benannt nach der Adresse des Foltergefängnisses (Heller Weg 3).

Am 15. Februar wird Aseyev im Hamburger Körber-Forum mit der Russland-Expertin Katja Gloger über die Ukraine und seine Gefängniszeit sprechen, moderiert von SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach. 

Am 1. Februar folgt Aseyev einer Einladung von Studierenden der Bucerius Law School in Hamburg, eine weitere Veranstaltung der Zeit-Stiftung ist geplant.

Ein Kriegsverbrecher konnte aufgrund Aseyevs Schilderungen schon verhaftet werden. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs, seit Entdeckung der Massengräber in Bucha und Isjum, seitdem zahllose Geheimgefängnisse in der Ostukraine entdeckt worden sind, hat Aseyev keinen Zweifel, dass Folter und Mord seitens der russischen Armee System haben. Um Kriegsverbrecher zu identifizieren, kommuniziert der Träger mehrerer Journalistenpreise mit Kriegsteilnehmern, er analysiert soziale Netzwerke und sichtet Berichte aus militärischen Einrichtungen – und er wirbt um Fördermittel für das Projekt Justice Initiative Fund (www.jif.fund/en). Aufgrund dieser Suche sieht er sich „einer gewissen Bedrohung durch die russischen Nachrichtendienste“ ausgesetzt. Überhaupt seien Sicherheitsfragen und schwierige Kommunikationswege die größten Herausforderungen für die Berichterstatter*innen vor Ort: „Viele berichten direkt von der Frontlinie. Aber auch die Journalist*innen, die in Kiew oder Lwiw arbeiten, sind nicht mehr sicher. Russische Raketen fliegen überall herum. Ein weiteres Problem ist schlicht der Mangel an Kommunikation, weil Russland die Energie-Infrastruktur zerstört.“

(Claudia Piuntek)

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