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Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der Krise - was muss sich ändern?

Das Kulturforum Hamburg und der DJV Nord hatten am 25.10.22 zur Diskussion auf Kampnagel eingeladen. Vor etwa 90 Gästen diskutierten auf dem Podium Christine Adelhardt, Leiterin Ressort Investigation beim NDR, Lukas Knauer, Vorstandsmitglied im DJV Nord, freier Mitarbeiter NDR Schleswig-Holstein, Christoph Lütgert, Journalist, Katja Marx, NDR-Programmdirektorin, Hansjörg Schmidt, MdHB, Mitglied im NDR-Landesrundfunkrat Hamburg und Dr. Hans-Ulrich Wagner, Leibniz-Institut für Medienforschung/Hans-Bredow-Institut. Es moderierte Florian Zinnecker (DIE ZEIT).

Etwa 90 Gäste waren auf Kampnagel dabei, die Diskussion im Schnelldurchlauf:

In seiner Keynote erläuterte Medienwissenschaftler Wagner die besondere Organisationsform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland, die „eben nicht Staatsfunk ist, aber auch nicht den freien Kräften des Marktes unterworfen“. Es sei ein Modell des „Dazwischen“. Im Sinne der Staatsferne werde der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht durch Steuern finanziert, sondern durch Beiträge - deren Höhe sicherstellen müsse, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Aufgaben auch wahrnehmen könne. Wichtig sei eine funktionierende Binnenkontrolle, wie etwa durch Gremien wie Rundfunk- und Verwaltungsräte. Da stelle sich dann die entscheidende Frage: Wer bestimmt die Zusammensetzung dieser Gremien der Binnenkontrolle? Hier habe es seit Gründung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks 1945 immer wieder Druck aus der Politik gegeben. 

Weiter ging es mit Christoph Lütgert. Er war bis zu seiner Rente 2010 u.a. als Korrespondent, Moderator und Chefreporter für den NDR tätig - und kritisierte den Sender in seinem Statement heftig. Lütgert betonte, wie wichtig, unverzichtbar ein öffentlich-rechtliches System mit guter Struktur sei. Genau das sei der NDR aber nicht: Es gebe ein Führungsproblem, ein „totales top-down“. Bei der Auswahl von Führungspersonal dürfe es nicht nur um Fachkompetenz gehen, sondern auch um Sozialkompetenz und Führungsqualitäten. Die hohe Anzahl an freien und befristet angestellten Mitarbeitern sei ein Problem. Der NDR begründe diese Praxis mit seinem programmlichen Abwechselungsbedürfnis - tatsächlich würden aber nicht die „kleinen Freien“ das Programm bestimmen, sondern die Führungskräfte, vielleicht solle man dort über Befristungen nachdenken? Es gebe im NDR einen riesigen Reformbedarf. Echter Reformwille sehe aber anders aus.

Auf dem Podium standen die  Ereignisse im NDR Kiel  und auch Hamburg im Mittelpunkt, über die zuerst Business Insider berichtet hatte, später dann auch Stern und Spiegel. Es ging um den Verdacht "politischer Filter“ und um ein "Klima der Angst" in Redaktionen des NDR

NDR-Programmdirektorin Marx sprach von einer „Erschütterung, wie wir sie noch nie erlebt haben“ - und das sei gut so. Man habe im NDR ein Problem der Unternehmenskultur, es gelte, das Gegenüber ernst zu nehmen und zuzuhören. 

Lukas Knauer erklärte, die Vorwürfe seien im NDR seit langem intern bekannt gewesen. Es sei sehr ärgerlich, dass der NDR nicht von sich aus darauf reagiert habe.

Christine Adelhardt stimmte ihm zu und kritisierte, dass der NDR auch viel zu langsam und zögerlich auf die bereits veröffentlichten Vorwürfe reagiert habe. Es seien bis zum Schluß die Mitarbeiter gewesen, die der NDR-Leitung abgerungen hätten, endlich für Aufklärung zu sorgen. Noch immer hätten einige das Gefühl, dass eine Aufklärung nicht gewünscht sei. 

Hansjörg Schmidt sagte als Mitglied im NDR-Landesrundfunkrat Hamburg selbstkritisch: Wir erhalten unsere Informationen von der Führung des NDR - und haben als Mitglieder im Rundfunkrat nicht genug nachgefragt. Wir waren überrascht, wieviel an uns vorbeigegangen ist. Es gibt im NDR offenbar nicht nur ein Problem des Klimas in Redaktionen, sondern ein Problem der Kultur im Haus. Schmidt forderte, den Rundfunkräte zu ermöglichen, ihren Kontrollauftrag tatsächlich wahrzunehmen und nannte als Beispiel einen formalisierten Auskunftsanspruch, damit man nicht auf das Wohlwollen der Führung angewiesen sei.

Zum Abschluss fragte Florian Zinnecker jeden Podiumsgast: Was muss sich ändern?  

Dr. Hans-Ulrich Wagner: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss einen Weg finden, sich und seinen Nutzen für die Gesellschaft zu erklären. Er muss seine Geschichte erzählen.

Christine Adelhardt: Im NDR brauchen wir mehr Ehrlichkeit. Und in der ARD müssen wir radikal darüber nachdenken, wovon wir uns verabschieden können und wo wir unsere Kernkompetenzen stärken. 

Hansjörg Schmidt: Der NDR braucht meht Digitalisierung. Und die NDR-Führung muss endlich die Frage beantworten, welche Schlüsse sie auch für sich aus den Vorgängen in Kiel und Hamburg zieht.

Katja Marx: Wir brauchen mehr Lust, darüber zu reden, was wir gut machen.

Lukas Knauer: Der NDR präsentiert sich mit „Das Beste im Norden“. Genau das müssen wir endlich auch nach innen leben. Keine Technokratie. Und im NDR müssen die Jungen ran, es geht um die Zukunft des Senders.

Anja Westheuser

Fotos: Ibrahim Ot

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